Gesellschaftliche Veränderungen sorgen dafür, dass die Individualisierung in Pflege, Medizintechnik, Krankenhausorganisation, Versorgung im ländlichen Raum, Arzneimittel und deren Überwachung einen immer größeren Stellenwert bekommen. Diese individuellen Bedürfnisse führen zu neuen Ansätzen in der Technik. Die Medizintechnologie und die Gesundheitsforschung werden zunehmend digital und die Verschmelzung mit den Datenwissenschaften und der Informatik führt zu völlig neuen Konzepten. Welche Herausforderungen und Möglichkeiten dabei bestehen, wurde bei einem Workshop, im Rahmen des solutions-OWL-Veranstaltungsprogramm „Digitalisierung anpacken in OstWestfalenLippe: Wir zeigen wie es geht“, im CENTRUM INDUSTRIAL IT (CIIT) diskutiert.
Deutschland hat mit 374 Milliarden € jährlich die höchsten Gesamtausgaben auf dem Gesundheitsmarkt weltweit. Das macht pro Person ca. 5000€ im Jahr. Doch die Anforderungen der Menschen haben sich stark verändert. „Technologische Aspekte werden heutzutage viel wichtiger für die Medizin als noch vor 20 Jahren“, bestätigt auch Professor Dr. Volker Lohweg vom Institut für industrielle Informationstechnik (inIT). Vor allem die Bewusstseinsänderungen der Menschen spiegelt einen Grund für die Veränderungen im Gesundheitswesen wider. Die Leute beschäftigen sich mehr und mehr mit ihrer Gesundheit, ihrem Konsum und ihrem Lebensstil. Dabei bekommen sie beispielsweise Hilfe von sogenannten „Smart Watches“. Uhren, die mittlerweile sogar die Herzfrequenz oder den Herzrhythmus überprüfen können oder dazu motivieren sich zu bewegen und Sport zu treiben.
Professor Dr. Gerd Kutz ging in seinem Impulsvortrag kritisch der Frage nach, ob wirklich der einzelne Mensch das richtige Arzneimittel bekommt. Bekommen beispielsweise zwei verschiedene Menschen die gleiche Erkrankung so werden sie in den meisten Fällen auch die gleiche Medikation vom Arzt verschrieben bekommen. „Wir alle sind verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Bekommt in so einem Fall dann der Einzelne wirklich das, was er braucht? Ich sage Nein“, meint Kutz. Nötig sei eine personalisierte Medizin, welche auf das Geschlecht, die Größe, den Stoffwechsel oder die Genetik angepasst ist. Und an diesem Punkt komme dann die Technologie ins Spiel. Ein Medikament könne zum Beispiel mit Hilfe von 3D-Druck individuell und personalisiert hergestellt werden oder auch als QR-Code abrufbar sein. Momentan ist dies noch Zukunftsmusik, allerdings sind die Grundvoraussetzungen für eine solche Umsetzung bereits gegeben.
„Transmembraner Transport von Nanopartikel – ein Zellmodel für die Entwicklung von Krebstherapeutika“, so lautete der Titel des nächsten Vortrags. Professorin Dr. Anja Kröger-Brinkmann zeigte auf, wie unterschiedlich strukturierte und funktionalisierte Nanopartikel von Zellen aufgenommen werden. Dieses Wissen ist Grundlage für die Entwicklung von Krebstherapeutika, die gezielt ausschließlich an Krebszellen wirken sollen und somit ein weiterer Fortschritt in der Erforschung von Heilungsmöglichkeiten der Krankheit.
Welche Möglichkeiten die Digitalisierung der Medizin und Gesundheitsbranche eröffnet, zeigte auch Professorin Dr. Helene Dörksen. Moderne Authentifikationsmethoden, die zum Beispiel zum Erkennen von Banknotenfälschungen eingesetzt werden, finden auch im Bereich der Medizin und Gesundheit Anwendung. Beispielsweise kann die Verpackungs-und Medikamenten-oder auch die Ernährungssicherheit mithilfe intelligenter Algorithmen sichergestellt werden. Menschliche Fähigkeiten würden hier an ihre Grenzen stoßen.
Ein weiterer Meilenstein für die Verknüpfung von Digitalisierung und dem Medizinsektor ist die digitale Patientenakte, welche ab 2021 verpflichtend von den gesetzlichen Krankenversicherungen eingeführt werden soll. Alle Ärzte, Apotheker oder Therapeuten sollen auf die gespeicherten Daten Zugriff haben. Professor Dr. Philipp Bruland widmete sich dem Thema und stellte dar, welche technischen Herausforderungen bei der Kommunikation zwischen einzelnen Leistungserbringern und nicht zuletzt dem Patienten entstehen. Diese belaufen sich unter anderem auf das gemeinsame Verständnis von Kommunikationsstandards.
Die Technische Hochschule OWL hat die Wichtigkeit von Forschungsthemen für die Medizin-und Gesundheitsbranche erkannt und bietet dementsprechend den Bachelorstudiengang Medizin-und Gesundheitstechnologie (MGT) an, demnächst soll auch der darauffolgende Masterstudiengang eingeführt werden. Außerdem wird bis 2022 der InnovationSpin am Innovation Campus Lemgo entstehen, welcher unter anderem auch Skills Labs -also Lernlabore -für den Sektor beherbergen soll.